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Narzissmus

Autorenbild: Veronika BarczakVeronika Barczak

Aktualisiert: 22. Okt. 2024

(u.a. nach Roland Kopp-Wichmann)


Warum sich Menschen in Narzissten verlieben.


In der Kennen-Lern-Phase prüfen zwei Menschen, ob der/die Andere für eine Beziehung für uns in Frage kommt. Dabei ticken Frauen und Männer ziemlich unterschiedlich – wie ja überhaupt im Leben.

Während Frauen typischerweise bereits in dieser Phase Ideen und Phantasien entwickeln, wie ein Leben mit dem anderen aussehen könnte, haben Männer es damit nicht so eilig. Der Mann ist vielleicht eher noch mit der Trennung von seiner letzten Partnerin oder seinem Single-Dasein oder mit dem schlechten Abschneiden seines Fussballvereins beschäftigt und denkt gar nicht über eine mögliche Beziehung nach.


Narzissmus ist zum Modebegriff geworden. Jedwede Eitelkeit, Selbstbezogenheit, Rücksichtslosigkeit, Egoismus oder schlechtes Benehmen wird mit dem Etikett „Typisch Narzisst“ versehen. Dann ist man sich darüber einig, dass es Narzissten an Empathie, Einfühlungsvermögen und Interesse für andere mangelt. Dass sie eigentlich ein geringes Selbstwertgefühl haben und deshalb alles dafür tun, Anerkennung zu bekommen. Gleichzeitig sind sie schnell gekränkt und reagieren beleidigt oder aggressiv, wenn sie etwas als Kritik verstehen. Sie leben nach dem Highlander-Motto: Es kann nur einen geben!

Doch so einfach ist es nicht.


Jeder von uns hat eine narzisstische Seite, sonst würden wir nicht unsere Ziele anstreben. Oder würden uns nicht morgens zurechtmachen und uns im Beruf positiv darstellen und auf Anerkennung hoffen. Solange das alles ein vernünftiges Mass hat und niemandem schadet, ist das der positive oder konstruktive Narzissmus. Den haben schon kleine Kinder, wenn sie im Sandkasten ihre Schaufel verteidigen oder sich stolz im Wohnzimmer aufpflanzen und ein Lied zum Besten geben.

Narzissmus muss man also nicht immer als eine Störung diagnostizieren, sondern kann ihn als eine universelle menschliche Eigenschaft begreifen, nämlich als den Wunsch, sich besonders zu fühlen. Narzissmus ist somit nicht generell, sondern nur in seinen extremen Ausprägungen schädlich.


Zwei Arten von Narzissmus.

Was gemeinhin unter Narzissmus verstanden und abgelehnt wird, ist vor allem die dominante, grossspurige, arrogante Art des Auftretens, die man als „grandiosen Narzissmus“ benennen kann.

Solche Menschen, und hier sind es vor allem Männer, stellen sich innerlich auf ein Podest und wollen ständig bewundert werden. Beruflich sind sie meistens erfolgreich und in einer Führungsrolle, denn sie wissen, wie Menschen ticken und nutzen dieses Wissen für ihre eigenen Ziele.

Sie können auch emphathisch sein. Allerdings missbrauchen sie diese Fähigkeit vor allem für ihre eigenen Ziele. Sie spüren sehr genau und schnell die wunden Punkte ihres Gegenübers und wissen, wie sie andere manipulieren können. Im persönlichen Kontakt wirken sie meist arrogant und überheblich. Aber sie haben auch jede Menge Charme und Unterhaltungswert – jedenfalls für viele Menschen.


Daneben gibt es eine zweite Art von Narzissmus, den vulnerablen oder verdeckten. Manchmal wird er auch als weiblicher Narzissmus bezeichnet, aber er kann bei beiden Geschlechtern vorkommen. Menschen mit vulnerablem Narzissmus kommen einem im ersten Kontakt überhaupt nicht narzisstisch vor. Ganz im Gegenteil, sie wirken freundlich, angenehm, zurückhaltend, vielleicht etwas selbstunsicher oder konfliktscheu.

Doch in ihrer Anspruchshaltung gleichen sie den grandiosen Narzissten. Auch sie sind äusserst selbstbezogen, haben grandiose Ansprüche an sich und andere und können sich schlecht in andere einfühlen. Aber sie verbergen das geschickt.

Auf einer Party unterhalten sich narzisstische Männer gern über Autos, über PS-Zahlen und Geschwindigkeiten. Ein verdeckter Narzisst in einer solchen Runde fällt dadurch auf, dass er sich von diesem „primitiven PS-Geprotze“ deutlich distanziert: „Ich weiss nicht, warum sich jemand einen teuren Audi kauft. Ich fahre einen acht Jahre alten Opel und komme auch überall hin, wo ich will.“

Man kann vermuten, dass die vulnerablen Narzissten sich nicht trauen, offen in Konkurrenz mit den anderen Männern zu gehen, sondern scheinbar das Kampffeld verlassen. indem sie eine höhere moralische Position einnehmen – von der sie dann auf die „primitiven“ anderen herabblicken.

Doch auch bei einem vulnerablen Narzissten kann man mit der Zeit entdecken, dass hinter der gezeigten Angepasstheit ein unangemessenes Anspruchsdenken hervortritt. Dann reagiert sie/er äusserst empfindlich auf kleinste Irritationen und Zurückweisungen. Oder er verurteilt andere Menschen schnell als feindselig oder selbstbezogen, verhält sich seltsam reserviert oder zieht sich zurück ohne Angabe von Gründen, reagiert ähnlich beleidigt oder aggressiv wie die grandiosen Narzissten.


Wie erkennt man einen Narzissten?

Eigentlich sehr einfach, denn egal, um welches Thema es sich handelt – immer geht es nur um sie.

Beispiel: "Bei unserem ersten Treffen dachte ich auf der Heimfahrt im Auto, dass ich jetzt zwar viel über ihn gehört hatte. Seinen Beruf, seine drei gescheiterten Beziehungen, seine Pläne für die nächste Zeit – aber er kaum etwas von mir wusste.“„Vermutlich, weil er Sie nichts gefragt hat, oder?“„Stimmt, das fiel mir dann hinterher auch auf.“„Aber trotzdem haben Sie sich weiter mit ihm getroffen.“„Ja, und es war jedes Mal gleich. Er redete – und ich hörte zu.“„Haben Sie eine Idee, warum Sie das immer mitmachen?“„Nein, keine Ahnung.“„Sie müssen einen guten Grund haben, einen heimlichen Gewinn, denn sein Verhalten ärgert Sie ja. Aber Sie nehmen es in Kauf. Die Frage ist, wofür?“ 

 

Woran Sie noch erkennen können, dass Sie in einen Narzissten verliebt sind:

  • Sie verzeihen immer wieder sein Verhalten, das sie eigentlich stört oder ärgert.

    Oder sie verteidigen ihn sogar, wenn Ihre beste Freundin das Verhalten auch rügt.

  • Sie fühlen sich häufig kontrolliert.

    Egal ob Sie länger telefonieren oder zehn Minuten später von einem Meeting kommen.

    Ihr Partner argwöhnt, dass Sie ihn hintergehen.

  • Wenn Ihre Freundinnen Sie vor dem Mann warnen, nehmen Sie das nicht so ernst und vermuten, dass sie Sie um Ihren tollen Partner beneiden.

  • Sie kontrollieren oft, was Sie sagen und wie Sie es sagen, um nicht sein Missfallen zu erregen.

  • Ihr Partner kritisiert oder demütigt sie vor seinen Freunden oder seiner Familie.

  • Er geht offen oder heimlich fremd. Sprechen Sie ihn darauf an, erklärt er, dass es an Ihnen liegt, weil Sie zu viel/zu wenig wiegen, nie Zeit haben, im Bett langweilig sind etc.


In allen Situationen versucht der Narzisst, die erlebte oder phantasierte Kränkung zu verkleinern oder abzuschwächen. Entweder, indem er andere beschuldigt oder angreift oder indem er sich über den anderen lustig macht.


Wie entsteht Narzissmus?

Erlebt ein Kind, dass Aufmerksamkeit und Zuwendung nur sporadisch und an Bedingungen geknüpft ist, folgert es, dass Liebe und Anerkennung nicht geschenkt, sondern erworben und verdient werden müssen. Entweder, weil das Kind oft angehalten wird, die Bedürfnisse eines Elternteils zu befriedigen oder die Leistungserwartungen der Eltern zu erfüllen.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Das Kind lernt, es anderen recht zu machen und seine eigenen Bedürfnisse und Gefühle weniger zu beachten. Oder es entwickelt ein übertriebenes Bedürfnis, im Mittelpunkt zu stehen und permanent anerkannt, bewundert und gelobt zu werden. In beiden Fällen fehlt die regulierende Kraft der Eltern, die dem Kind Halt und Geborgenheit vermitteln mit der Botschaft „Du bist liebenswert, so wie Du bist!“

Aber auch statt des überfordernden kann ein allzu verwöhnender Erziehungsstil der Eltern ein narzisstisches Grössenselbst bei einem Kind begünstigen. Wenn jede ungelenke Kinderzeichnung als Kunstwerk gefeiert wird. Wenn dem Kind beim Sport jede Enttäuschung wegen einer Niederlage erspart wird, indem die Schuld beim Trainer, dem Verein oder der Sportart gesucht wird, lernt das Kind nicht, dass im Leben nicht alles glatt läuft und dass das zu einem normalen Leben dazu gehört – und man damit fertigwerden kann.


Warum verlieben sich manche Frauen immer wieder in Narzissten?

Eine Frau mit einem guten Selbstwertgefühl findet einen narzisstischen Mann am Anfang vielleicht auch interessant. Doch spätestens wenn sie merkt, dass der andere sich nur um sich selbst dreht und ihr wenig Beachtung schenkt oder Interesse zeigt, wird sie sich wahrscheinlich zurückziehen.


Wie man das Lebensthema heraushört.

Das Lebensthema bei Menschen ist eine emotional fest verankerte Überzeugung, für die früh in der Kindheit eine Überlebensstrategie gefunden werden musste. Typischerweise halten wir an diesen Strategien fest, weil sie sich bewährt haben, obwohl sie gar nicht mehr notwendig wären. Einige Beispiele dafür:

  • Ein Kind kommt ungeplant auf die Welt und erfährt das mit sieben Jahren.

    Überzeugung: Eigentlich bin ich unerwünscht.

    Strategie: Ich darf niemanden zur Last fallen. Am besten, man bemerkt mich gar nicht.

  • Die Eltern leben eine pazifistische Weltsicht und streiten sich nie.

    Überzeugung: Aggression ist böse und muss unterdrückt werden.

    Strategie: Übertriebener Altruismus, der von anderen aber ausgenutzt wird.

  • Die Ehe der Eltern ist nicht gut, worunter die Mutter besonders leidet.

    Überzeugung: Papa macht Mama nicht glücklich, dann muss ich das tun.

    Strategie: Sich die Interessen der Mutter zu eigen machen und nicht ablösen.

  • Der leistungsorientierte Vater hält wenig von seinem Jungen.

    Überzeugung: Man Vater glaubt nicht, dass ich in irgendwas richtig gut bin.

    Strategie: Enormer Einsatz im Beruf, bis an die Grenzen der Belastbarkeit – und darüber.


Weiblicher Narzissmus ist anders.

Männliche Narzissten neigen dazu, anderen ihre vermeintliche Überlegenheit zu zeigen. Dieses Verhalten, unverfroren zu dominieren und vor allem seine Eigeninteressen zu verfolgen, ist für Männer in weiten Teilen der westlichen Gesellschaft sozial akzeptabel. Es wird als Durchsetzungsfähigkeit sogar geschätzt.

Ein solches Verhalten wird bei Frauen eher als egoistisch oder zickig abgewertet. Übrigens von Männern und Frauen. Deshalb bemühen sich narzisstische Frauen meist, ihre Ziele durch subtilere, indirektere Strategien zu erreichen, die den Erwartungen ihrer Geschlechtsrolle und dem Druck unterschiedlicher sozialer Zwänge entsprechen.

Zum Beispiel macht sich die weibliche Narzisstin in Liebesbeziehungen abhängig und passt sich dem Partner stark an.  Sie unterdrückt ihre eigenen Bedürfnisse, wirkt unselbständig, klammert und fixiert sich ganz auf den Partner. Sie nimmt sich oft nicht mehr als eigenständige Person wahr, sondern sonnt sich in seinem Glanz. Jede Form der Distanzierung vom Partner wird wie eine Trennung oder Verrat empfunden.

 

Selbstunsichere Partnerinnen erliegen schnell der narzisstischen Charmeoffensive. Sie können sich auch lange bei Narzissten wohlfühlen, weil deren bestimmende Art ihnen Entscheidungen abnehmen kann. Wer die Eigenheiten des anderen akzeptiert, kann mitunter gut in einer Beziehung mit einem narzisstischen Menschen leben. Doch auf die Dauer fühlt man sich nicht wirklich wertgeschätzt und respektiert. Denn die eigenen Bedürfnisse werden selten erfüllt und der Partner neigt dazu, seinen eigenen Selbstwert auf Kosten der Partnerin zu erhöhen. Doch einen narzisstischen Partner zu verlassen ist mitunter nicht leicht. Er zieht alle Register, ist nachtragend und kann in seiner Gekränktheit auch gewalttätig werden.


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Guest
Nov 05, 2024
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jetzt sehe ich Narzissmus etwas klarer

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